Montag, 27. Juni 2011

Liebes Efruli ...

... jetzt wohnen wir schon fast ein Jahr Tür an Tür. Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem ich hier nach Marburg kam. Es kommt mir kürzer und länger zugleich vor. 

Jede Nacht scheint dein blaues Licht in mein dunkles Zimmer; und jede Nacht sieht es aus, als lande gleich ein Ufo, mitten in Weidenhausen. Selbst eine großzügige Jalousie aus einem schwedischen Möbelhaus kann mich nicht vor deinen Strahlen schützen. Schon ab 17.00 Uhr – und in letzter Zeit sogar ab Mittag – verwöhnst du mich mit orientalischen Klängen, und deine Existenz ist nicht zu leugnen.
Der Akustik unseres Hinterhofes ist es zu verdanken, dass ich stiller und machtloser Teilhaber aller Gespräche deiner Gäste werde, denn wie fremde Melodien steigen Wortfetzen zu mir empor und fügen sich, gemischt mit den Klängen fernöstlicher Flöten, Lauten und Gesänge, zu einem Konzert, dessen imposante Darbietung mich oft am Schlafe hindert. 
Dolby-Surround war gestern. 

Deine Öffnungszeiten, liebes Efruli, sind ganz erstaunlich. Von Sonntag bis Donnerstag bleibst du - und ich mit dir - manchmal bis ein Uhr wach. Am Wochenende hältst du es sogar bis vier Uhr morgens aus, und manchmal glaube ich, dass deine Gäste ihren Heimweg nicht durch deinen Hinterhof, sondern vorbei an meinem Bett antreten, - was freilich ein Umweg ist. 

Efruli, bitte, verstehe mich nicht falsch. 
Ich bin Kulturwissenschaftlerin, und ich weiß um die Bedeutung der Verschiedenheit der Kulturen, ich weiß, wie wichtig es ist, anders zu sein, und es geht mir nicht ums Mosern oder ums Nörgeln. 
Nein, Efruli, ich bin nicht anspruchsvoll, und lärmempfindlich bin ich auch nicht, denn ich komme aus einer Gegend, in der Straßengeräusche alltäglich und allnächtlich sind, und man die Autobahn auch noch von Weitem hört; beinahe pingelig mag ich dir erscheinen, doch schlafen kann ich nicht, wenn du jeden Abend eine Party gibst. 
Ich will dir dein Dasein gar nicht madig reden, du sollst deine Gäste beherbergen so wie auch zuvor, denn sie kommen in Scharen, denn sie fühlen sich wohl. Aber ich, ich brauche dringend Schlaf, gerade jetzt, wo es doch ans Eingemachte geht und Prüfungen mich jagen.

Gerne wäre ich so wie du, denn einen Ruhetag hast du nicht und brauchst du nicht.  
Aber ich, liebes Efruli, ich brauche dringend einen. 

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