Samstag, 2. Juli 2011

Die Phil-Fak. Von Innen und Außen.

Der Mensch ist komisch: als vielleicht einziges Wesen unter dieser Sonne verfügt er über die Fähigkeit, schöne Dinge von (vermutet) ästhetischem Wert zu erschaffen, die auch noch Nutzen zur eigenen Verwendung bringen.*

Und dann steht in Marburg, dieser puppenhäusigen Bilderbuchstadt - mit einem Schloss und einer aus Fachwerk sich türmenden Oberstadt, - ein in sich verflochtenes Konstrukt, das mit scheinbar vergilbter Farbe der gegenüberliegenden Idylle vom Ortenberg aus trotzt. 

Was ist da los? 

Hingekleckert: Die Phil-Fak
Die Philosophische Fakultät hinter der Stadtautobahn mit ihren Türmen und der nahe liegenden Universitätsbibliothek versprüht schon von außen einen gewissen morbiden Charme, dem manch einer schwer erliegt. Wer glaubt, eine Steigerung von architektonischen Missverständnissen sei nicht möglich, der war wohl noch nie im Innern der geisteswissenschaftlichen Festung.
Umso verwunderlicher erscheint es daher, dass dieser einer Vielen fremden Auffassung von Schönheit nach empfundene Bau, bereits so sehr begeisterte, dass die Marburger Phil-Fak sogar schon Preise einheimste, Architektur-Preise. 

Die hier angedeuteten Preise seien damit genug in Frage gestellt worden, und die  Baumaßnahmen zu bedauern, die zur Entstehung der Phil-Fak führten, liegt nicht in den Aufgaben meiner Generation. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, und der Mensch nimmt, was er kriegen kann. Als Student darf man keine hohen Erwartungen haben, und letztlich ist es auch egal, in welchem Raum man sitzt, solange der Kopf raucht.  

Doch an dieser Stelle könnte man sich fragen, weshalb gerade die Philosophische Fakultät so abgenutzt aussieht; in naturwissenschaftlichen Instituten ist das Hantieren mit Säuren, Basen und Giften ein alltägliches Procedere, das ganz selbstverständlich mit der Zeit seine Spuren in Laboren hinterlässt. 
Da läuft es schon mal von den Wänden, und das ist auch nicht weiter schlimm.  

Schöner ? Philipps Schloss im Sonnenuntergang
Aber an einem Ort, an dem einzig der Geist schaltet und waltet, da, wo das Wirken der Synapsen sich nicht abzeichnet, sondern einzig als bloßer Verdacht in der Luft liegt, da, wo sich zahlreiche Menschen versammeln, die alle diesen leisen Verdacht teilen, - wieso klemmen gerade dort Türen und Fenster, wieso müffeln gerade dort die Sitzkissen und wieso ist gerade dort die Luft so stickig, wenn doch das ganze Haus aus Glas und Fenstern besteht? 

Wieso hinterlässt der homo sapiens sapiens gerade am Ort der doch so stillschweigend geschehenden sapientia die deutlichsten Spuren seiner Existenz?

Sind wir tatsächlich so sehr in Gedanken, dass wir das Um-uns gänzlich vergessen? Oder haben wir Angst, in all unserer Geisteswissenschaft andernfalls nicht wahrgenommen zu werden? 
Denn tatsächlich sieht das einst gerühmte Gebäude von außen so aus, als hätte ein zu groß geratenes Kind ein wenig zu lange zufällig herumliegende Duplobausteine mit Säure bekleckert, und schließlich keine Lust mehr gehabt, damit zu spielen; liegen blieb die Phil-Fak. 

Über einen gewissen - zugegeben leicht versteckten - Charme verfügt sie ja; denn wer bewanderte ihre abgelaufenen Korridore und stillen Treppenhäuser nicht anfangs mit einer leisen Faszination und dem still keimenden Wissen, dass hier Großes geschieht? 
Der A-Turm: Potentielles Weltkulturerbe ?
Noch immer findet man sich leicht verwundert über die ehrliche Hässlichkeit und den gleichzeitigen Zeitgeist, der aus diesem Gebäude spricht.  
Und doch ist das Schloss schöner. 
Zugegeben, wer kann sich schon mit dem Schloss messen? 

Die Phil-Fak sicher nicht; und doch ist die Aussicht - von allen Türmen der philosophischen Feste - mindestens genau so gut wie der Ausblick vom Schloss, da man über einen Ausblick auf das Schloss verfügt. 
Aber das war es dann auch schon. 
Wie man es drehen und wenden will, man verfängt sich in merkwürdigen Aussagen. Gerüchte, die Phil-Fak werde abgerissen, kursieren bereits seit einiger Zeit. Der Mensch ist drastisch in seinen Maßnahmen. 
Was ihm nicht gefällt, muss weg. 

Die Phil-Fak muss nicht weg; sicherlich ist sie kein Augenschmaus, aber was erwarten wir von dem Ort, an dem wir studieren? Und woher wissen wir jetzt, was wir in zukünftiger Zeit als schön empfinden werden? Wer weiß, vielleicht schafft es die Phil-Fak noch einmal in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes, wenn wir sie stehen lassen. Vielleicht aber auch nicht. Was bringt es, etwas Neues zu erbauen, das in vielleicht dreißig Jahren von einem Blogger als "unschön" tituliert und im Zuge von Erneuerungsmaßnahmen abgerissen wird. Wer weiß, - vielleicht schafft es die Phil-Fak noch einmal in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes, wenn sie nur lange genug steht. Vielleicht schafft sie es aber auch dann nicht. 
Sie ist sicherlich kein Marburger Wahrzeichen, und doch ein - möglicherweise erzwungener - Pilgerort für viele. Sie ist ein Geheimtipp - welcher Art auch immer. 
Aber bleiben kann sie ruhig, wenn jemand nur die Fenster repariert.  


* Ich bin kein Biologe und möchte mich mit dieser Aussage auch nicht zu sehr zu weit aus dem Fenster lehnen. Sollte ich Unrecht haben, so sei mir vergeben. Doch ist der Mensch doch eindeutig in der Lage, Dinge von Wert und Nutzen zu schaffen, und auch noch gleichzeitig über ihre Schönheit entscheiden zu können. 

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